Neulich schlenderte ich mit einer Freundin durch den Supermarkt auf der Suche nach Abendessen.
Zwischen Paprika und Lauch schaute sie mich plötzlich an: „Das dürfte aber nicht passieren, oder?“ Dabei zeigte sie auf die roten Knollen und auf das dazugehörige Schild „Rote Bete“. Abgesehen davon, dass ich kein Fan von Bete im Allgemeinen bin, wusste ich nicht, was sie meinte. „Na, das ist falsch geschrieben. Das schreibt man doch mit zwei e.“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, Rote Bete schreibt man tatsächlich mit nur einem e, schließlich pflanzt man auf den roten Kugeln nichts an.
„Das glaube ich nicht. Ich schreibe das immer mit zwei e.“ Solange die Menschen wissen, was sie meint, wäre es zwar noch immer falsch – oder sagen wir, nicht nach schriftsprachlicher Dudennorm –, aber dennoch in Ordnung für den Hausgebrauch. Diese Meinung brachte mir einen bösen Blick ein. „Es ist doch echt vollkommen egal, wie man was schreibt.“
Bis 1901 dachten viele so
Also wozu das ganze Lernen der deutschen Orthografie, wenn es doch tatsächlich belanglos ist, ob man Orthografie mit th oder zwei h schreibt?
Weil es eben nicht belanglos ist
Erst – möchte ich sagen – 1901 wurde die deutsche Schriftsprache vereinheitlicht. Diese Vereinheitlichung löste die Meinung ab, dass „die Schreibe“ spontan und wie man es als Schreiberling gerade für richtig hielt, am besten sei.
Die Gebrüder Grimm, Herausgeber des deutschen Wörterbuchs, beispielsweise waren der Ansicht, dass die deutsche Sprache bescheidener sein sollte und mit Großbuchstaben eher zaghafter umzugehen hatte. Allein Eigennamen und der Satzanfang hatten ihrer Meinung nach einen großen Buchstaben am Wortbeginn verdient.
Ja, kann man machen – sieht für uns heute aber dennoch befremdlich aus. Außerdem wird der Sinn beschnitten, wenn man nicht mehr zwischen Substantiv, Verb und Adjektiv unterscheiden kann. Schließlich fliegen dann die fliegen hinter fliegen her, die fliegen …
Und warum nun die Wörter immer gleich schreiben?
Auf der Orthographischen Konferenz 1901 in Berlin (da noch mit ph) wollte man, dass das Deutsche Reich – Stichwort Kleinstaaterei und ewiger Knatsch zwischen den einzelnen Regionen – näher zusammenrückt. Das Ziel war also, den Deutschen zu einer einheitlichen Schriftsprache zu verhelfen und damit die Barrieren zwischen den Menschen, den sozialen Schichten sowie den Regionen zu minimieren. Getreu dem Motto: „Wenn alle gleich schreiben, sind sie einander auch gleich.“ (Dass erst 1919 in ganz Deutschland die Schulpflicht eingeführt wurde und damit das Lesen und Schreiben erst 18 Jahre später zum Pflichtprogramm wurde, ignorieren wir bei diesen guten Absichten mal.)
Würde jeder so schreiben, wie er es für richtig hielte, würden sich nur noch Familien und enge Freunde schreiben. Denn dann würde unsere Schriftsprache auf dem Prinzip „Schreibe, wie du sprichst!“ aufgebaut sein. Aber vielleicht schreibt mein Nachbar Räschtschraibung so und mein Onkel aus Berlin – mit Dialekt – ganz anders, vielleicht mit mehr h oder mehr r. Die beiden dürften dann große Schwierigkeiten haben, sich gegenseitig zu schreiben bzw. zu lesen, was die Zeitungen des jeweils anderen zu berichten haben.
Und noch ein Hoch auf die Orthografie
Der Mench ist in dre Lage, Txte zu lsen, auch wen sie so geschriebne sidn.
„Der Leser an sich“ liest nicht mehr Buchstabe für Buchstabe – diese Methode wenden vor allem Leseanfänger*innen an, um überhaupt die Bedeutung der einzelnen Buchstaben im Wortgefüge zu lernen. Geübte Leser*innen erkennen auf einen Blick die bekannten Wörter und deren Sinn. Das können wir, weil die Wörter immer gleich geschrieben sind und damit einem bestimmten Muster folgen. Unser Gehirn liebt Muster und ist ein Genie darin, diese Muster zu erkennen. Wäre jedes Wort immer wieder anders geschrieben, weil es keine einheitliche Rechtschreibung gäbe, müssten wir jedes Wort immer wieder neu lernen bzw. unser Gehirn sich immer wieder neue Muster einprägen – eine ganz schön anstrengende Sache.
Und das Lesen und Verstehen ist so schon schwer genug, wie man am Beispiel der Beete und der Bete sieht. Sicherlich erkennen wir, was gemeint ist, aber nur, weil wir den Kontext kennen. Dank der Rechtschreibung, die wir alle gleich gelernt haben – Rechtschreibreform mal außen vor gelassen – erkennen wir, was jeweils mit den beiden Sätzen gemeint ist:
„Du hast aber große Beete (… im Garten).“
„Du hast aber große Bete (… gekocht).“
Also ein Hoch auf die Orthografie – trotz aller Diskussionen um Reformen und seltsamen Anwandlungen sogenannter Sprachexperten. Meine Freundin und ich haben uns übrigens schlussendlich für Salat mit „Schreibt man das nicht mit zwei c?“-Rucola entschieden.